Unter blauem Himmelsdach / Schimmernd hell im Sonnenstrahl …
Mitgliedertreffen in Dresden 15./16. Oktober 1994
Nur etliche Baukräne verstellten den freien Blick zum strahlend blauen Himmel, der am Tag der Mitgliederversammlung die Stadt in schimmernd helle Sonnenstrahlen tauchte – Dresden empfing die Gäste der Weber-Gesellschaft am 15. Oktober 1994 nicht nur mit angenehmer Herbstsonne, sondern mit ebenso angenehmen Überraschungen.
Schon die Mitgliederversammlung im Musiklesesaal der Dresdner Landesbibliothek in der Marienallee begann beinahe „feiertäglich“: Frau Dr. Schwab konnte in ihrer Begrüßung ein Ereignis ankündigen, das wahrlich nicht alltäglich genannt werden kann, denn an diesem Samstagmorgen sollte ein Autograph Webers in die Bestände aufgenommen werden, das nur dank einer großzügigen Spende wieder zurück nach Dresden kommen konnte. Der freigebige Stifter war die Sächsische Aufbaubank Dresden, die das in Heft 3 (S. 40-42) von Herrn Dr. Geck bereits vorgestellte Autograph dreier in Hosterwitz bzw. Dresden entstandener Liedkompositionen Webers (Bach, Echo und Kuß WeV F.17, JV 243, nach einem Text von Friedrich Kind, Triolet WeV L.64, JV256, nach einem Text von Carl Förster und Husarenlied WeV H.10, JV 284, Text von Adalbert vom Thale, Pseudonym für Carl von Decker) bei der Stargardt-Auktion im März 1993 erworben hatte. Herr Pfleger als Vertreter der Sächsischen Aufbaubank überreichte diese Webersche Handschrift, die einst von Webers Witwe verschenkt worden war und eines der schönsten Autographe darstellt, die von Weber in den letzten Jahrzehnten auf dem freien Markt angeboten wurden, unter lebhaftem Klicken der Pressekameras dem Direktor der Dresdner Landesbibliothek, Herrn Dr. Wolfgang Frühauf. Mit seinem herzlichen Dank verband Herr Dr. Frühauf dann auch einige Bemerkungen zur wichtigen Funktion privater Autographensammler, die glücklicherweise in vielen Fällen den ästhetischen Wert und die historische Bedeutung ihrer Zimelien erkennen und in sehr verantwortlicher Weise damit umgehen bzw. sogar den Kontakt mit den für die Bewahrung, Erhaltung und Auswertung dieser Handschriften zuständigen öffentlichen Stellen suchen. Die Rolle privater Spender wird angesichts der knapper werdenden öffentlichen Kassen weiter wachsen, so dass man sich nur wünschen kann, dass das vorbildliche Engagement der Sächsischen Aufbaubank zur Nachahmung einlädt. Die besondere Bedeutung dieses Ereignisses wurde auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Herr Dr. Frühauf – trotz vorhandener Bedenken wegen der Verkleinerung der Abbildung – spontan eine Doppelkarte mit dem Faksimile des ersten Blattes dieses Autographs im Hause herstellen ließ und an diesem Morgen nun das erste Exemplar Herrn Pfleger überreichen konnte. (Diese Doppelkarte kann über die Landesbibliothek bezogen werden).
Eine weitere Überraschung hatte der Leiter der Landesbibliothek parat: Die beiden auf der Karte faksimilierten Lieder: Bach, Echo und Kuß und Triolet wurden anschließend aus der Schrift in Klang übersetzt: Friedemann Klos (Tenor) und Irene Berlin (Klavier), beide Studenten an der Dresdner Musikhochschule Carl-Maria-von-Weber, brachten die beiden Lieder in einer sicherlich ungewöhnlichen Fassung zu Gehör, denn das nicht vorhandene Klavier musste durch ein eiligst besorgtes Keyboard ersetzt werden, was aber der gelungenen Idee keinen Abbruch tat.
Zurück in die Schrift führte dann der anschließende Vortrag von Frau Dr. Ortrun Landmann, die als beste Kennerin der Dresdner Bestände eine Reihe wichtiger Autographen Webers, aber auch Original-Handschriften seiner Dresdner Kollegen und Freunde präsentierte. Für eine zusätzliche Überraschung sorgte sie durch etliche Auszüge aus Briefen des Weber-Enthusiasten Friedrich Wilhelm Jähns, in denen dieser seine wertvolle Sammlung an Weberiana, die heute in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt wird, dem Dresdner König bzw. der Bibliothek zum Kauf angeboten hatte. Diese bislang unbekannt gebliebenen Verhandlungen führten aber nicht zum Erfolg, obwohl Friedrich August die Sammlung als Saxonicum ersten Ranges bezeichnete. Da er den Kaufpreis aber aus seiner königlichen Schatulle hätte zahlen müssen und durch den Bau der Semperoper ohnehin überfordert war, konnte er Jähns nur auf einen späteren Termin vertrösten. Dieser wandte sich daraufhin im Mai 1876 an den Leiter der Königlich preußischen Bibliothek, die aber erst 1881 nach langwierigen Verhandlungen die Sammlung übernehmen konnte.
Dennoch ist die Sammlung an Weberiana der Sächsischen Landesbibliothek außerordentlich reichhaltig, was zum Teil durch die Bestände aus der Königlichen Sammlung, zum Teil durch die Übernahme der Hoftheatermaterialien bedingt ist. Aber nicht nur die Autographe selbst, wie z. B. das der Jubelouvertüre, sondern auch Abschriften können von Interesse sein. So besitzt die Bibliothek eine für Frankfurt am Main bestimmte Abschrift der Euryanthe mit autographen Zusätzen Webers, die Rätsel aufgibt: Wie gerade am Vortag bestätigt wurde, stammt der Einband dieser Partiturbände aus Frankfurt – d. h. die Bände sind von ihrem Bestimmungsort aus auf eine bisher ungeklärte Weise wieder zurück nach Dresden gelangt! Von Interesse waren aber auch die Partituren einer Messe von Webers italienischem Kollegen Francesco Morlacchi, sowie Autographen seines Nachfolgers Karl Gottlieb Reissiger bzw. Heinrich Marschner oder die Kompositionen führender Mitglieder der Kapelle, z. B. des Cellisten Justus Johann Friedrich Dotzauer oder von Webers Begleiter auf der London-Reise Anton Bernhard Fürstenau. Frau Dr. Landmann konnte abschließend noch eine musikalische Kostprobe aus einem konzertanten Werk dieses Flötisten präsentieren, das Themen aus Webers Euryanthe verarbeitete. Mit herzlichem Applaus bedankte sich das Auditorium für die im wahrsten Sinne des Wortes „anschauliche“ Darstellung von Frau Dr. Landmann.
Nach einer Kaffeepause, mit der die Landesbibliothek freundlicherweise für das Wohl der Gäste gesorgt hatte, konnte dann die Mitgliederversammlung fortgesetzt werden, über die das Protokoll von Frau Bartlitz ausführlicher informiert. Die gastliche Stätte wurde dann zur erneuten Stärkung in der Pillnitzer Weinbergschenke verlassen, und am Nachmittag empfing Frau von Lüder-Zschiesche die Weberianer, zu denen sich inzwischen auch die Urururenkel Webers, Frau Marina Grützmacher und Herr Christian Max Maria Freiherr von Weber, gesellt hatten, im Hosterwitzer Weber-Haus – genauer gesagt: in strahlender Sonne mit einem Glase Wein vor demselben im Grünen.
Im Zentrum des Nachmittags stand der Vortrag von Herrn Frank Ziegler von der Berliner Arbeitsstelle der Weber-Gesamtausgabe über Webers Schauspielmusik zu Preciosa, der musikalisch eingeleitet bzw. umrahmt wurde durch Professoren und Studenten der Dresdner Musikhochschule Carl-Maria-von-Weber. Wieviele Väter hat der Erfolg? Drei Variationen über ein Thema von Friedrich Wilhelm Jähns hatte Herr Ziegler launisch sein Thema überschrieben und ebenso launisch und kurzweilig war der Vortrag selbst, in dem er vorbildlich zeigte, wie sich Wissenschaftlichkeit mit Verständlichkeit und Hörvergnügen paaren kann. Das galt auch für seine amusante Zusammenfassung der einzelnen Akte, die er zwischen den erklingenden Musiknummern gab.
Den Auftakt machte natürlich die Ouvertüre, die vom Professoren-Ehepar Monika und Hugo Raithel in einer vierhändigen Fassung dargeboten wurde. Es folgten zwei Stücke aus dem ersten Akt, interpretiert von Astrid Werner (Sopran), Beate Rauschenbach (Mezzosopran), Tino Hölzel (Tenor), Friedemann Klos (Bass) und Irene Berlin (Klavier): zunächst der Chor Heil Preciosa, Preis der Schönen, dann verdeutlichte Astrid Werner mit gekonnt eingesetzten Ausdrucksmitteln die wechselnden Stimmungen der Preciosa in ihrem ersten Melodram. Auf das Ballett folgte der Chor der Zigeuner aus dem zweiten Akt Im Wald, Preciosas berühmtes, nur scheinbar einfaches Lied Einsam bin ich nicht alleine, schließlich (vierhändig) die Spanischen Nationaltänze des dritten und dann der Chor Es blinken so lustig die Sterne aus dem vierten Akt. Der kleine Raum im Hosterwitzer Weberhäuschen war fast zu klein für diese von dem sehr ausgeglichenen Solistenensemble präsentierten Chor, die Interpretationen zeigten aber einmal mehr, welche wirkungsvollen Musikstücke Weber in diesem Werk geschrieben hat, das leider viel zu wenig bekannt blieb.
Den Gründen für dieses Vergessen versuchte Ziegler in seinem Referat nachzugehen, wobei er eigentlich vom Gegenteil ausgehen musste: Preciosa gehörte im 19. Jahrhundert zu dem am meisten gespielten Werken Webers – was für eine Schauspielmusik, die gewöhnlich nur für den Tagesbedarf geschrieben war, ohnehin ungewöhnlich ist. Diesem Vergessen fielen z. B. die Schauspielmusiken zu Preciosa anheim, die vor Weber entstanden waren: Sie stammen von Johann Philipp Christian Schulz (Ziegler wies auf die Wahrscheinlichkeit einer Verwechslung des Autors mit Karl Eberwein hin; Schulzens Musik wurde auch mit einem erhaltenen Marsch klingend vorgestellt) und Ignaz Ritter von Seyfried. Neben Fragen zur Qualität des Wolffschen Textes spielte in Zieglers Referat auch das Problem der nationalcharakteristischen, d. h. in diesem Falle spanischen und Zigeuner-Musik eine Rolle, wobei er zeigen konnte, dass Weber teilweise auf Stücke zurückgriff, die in ganz anderem Zusammenhang Verwendung fanden, z. B. geht der Ballo Nr. 4 auf einen in Prag komponierten Tedesco zurück! Sehr erhellend waren auch die Ausführungen zur Frage der musikalischen Konzeption des Stückes, das von manchen Autoren zwischen Schauspielmusik und Oper eingeordnet wurde.
An die von Mendelssohn in Auftrag gegebene Bearbeitung des Werkes für den Konzertsaal knüpfte Ziegler im letzten Teil seines Vortrags an, der dem Problemkreis Schauspielmusik zwischen Bühne und Konzertsaal gewidmet war. Im Hinblick auf eine (vom Text her skeptisch beurteilte) Wiederbelebung des Werkes sah Ziegler aber auch die konzertante Darbietung als problematisch an: Wenn dabei der Text so verkürzt wird, dass die musikalisch aufeinander bezogenen, z. T. auch wiederholten Musikstücke zu dicht aufeineinander folgen, ergibt sich für den Hörer eine Redundanz, die bei einer Aufführung des gesamten Schauspiels als Gegenteil, nämlich als bezugvolle Rückerinnerung, empfunden wird. Ziegler empfahl daher eine Art von ausführlicherer Prosa-Nacherzählung der Handlung mit einer gewissen ironischem Distanz, um diesem musikalischen Waisenkind wieder auf die Bühne – sei diese im Theater oder im Konzertsaal – zu verhelfen.
Lang anhaltender Beifall belohnte Musiker und Referenten für diese rundum gelungene Nachmittagsveranstaltung. „Erholen“ durften sich die Gäste dann wiederum bei einem Gläschen Wein, während Frau von Lüder-Zschiesche den Aufbau und die Zusammensetzung ihrer Sammlung erläuterte. Und endgültig ausspannen konnte man beim gemeinsamen Abendessen, wiederum in der nahe gelegenen Weinbergschenke, womit ein Tag mit wärmenden Sonnenstrahlen für Körper und Geist in froher Laune zu Ende ging.
Nur noch eine wackere Schar hartnäckiger Weberianer fand sich am nächsten Morgen (leider bei trübem Wetter) am Kronentor zu einer Führung rund um den Zwinger ein, die von Herrn Prof. John kompetent geleitet wurde. Der Spaziergang endete am Weberschen Familiengrab auf dem alten katholischen Friedhof, wo die Gesellschaft ihren Namenspatron mit einem Kranz ehrte.
Zwei ganz Unentwegte wanderten anschließend mit Prof. John auf Webers Spuren rund um Pillnitz: im Friedrichsgrund und Keppgrund bis zur Keppmühle, in der der Meister häufig zum Kegeln eingekehrt war. Dem kundigen Dresden-Führer Prof. John – dem ganz nebenbei auch die Organisation der Tagung oblag – gilt unser herzlicher Dank!
Wohl, so brechen wir jetzt auf – aber nicht mit Preciosa nach Madrid, sondern einstweilen 1995 nur nach Mainz, wo uns der Verlag von B. Schott’s Söhnen zur nächsten Versammlung der Weber-Gesellschaft erwartet – Nun wohlan!
Joachim Veit