Das Mitgliedertreffen der Weber-Gesellschaft in Zell im Wiesental vom 9. bis 11. September 2022
Im September 2022 kam die Internationale Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft zu ihrem Jahrestreffen im idyllischen Südschwarzwald zusammen, genauer gesagt in Zell im Wiesental. Üblicherweise wurden für die Mitgliederversammlungen bislang fast ausschließlich Orte ausgewählt, die einen Bezug zu Webers eigenem Lebensweg aufweisen, diesmal war dies nicht der Fall, zumindest ist kein Besuch C. M. von Webers in dieser Region nachweisbar. Lediglich das nicht allzu ferne Basel war im Herbst 1811 eine Station seiner Reise durch die Schweiz: Vom 5. bis 14. Oktober hielt er sich dort auf, um am 13. Oktober ein Konzert zu geben. Ob er sich dabei bewusst war, dass er seinen familiären Wurzeln derart nahe war? Seine Vorfahren stammten aus dem Wiesental, aus Stetten (heute Ortsteil von Lörrach) und Zell: Der Urgroßvater war einst der Müller von Stetten; Großvater Fridolin (I.) war dort im Fridolins-Münster, dem Vorgängerbau der heutigen, 1822 geweihten Fridolins-Kirche, getauft worden, um schließlich nach Studium und Anstellung als Hauslehrer in Freiburg/Breisgau als Amtmann der Herren von Schönau in Zell zu wirken. Alle drei genannten Orte – Stetten, Freiburg und Zell – waren damals noch Teile des Habsburger-Reichs und gehörten jenem territorialen Flickenteppich an, der als Vorderösterreich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts existierte: 1805 im Frieden von Preßburg erfolgte die politisch-territoriale Neugliederung, bei der das Breisgau und die Vogtei Zell an Baden fielen.
Im Amtshaus von Zell, dem einstigen Verwaltungszentrum, in dem sich auch die Wohnung des Amtmanns Fridolin Weber (I.) befand, erblickten seine Kinder das Licht der Welt, darunter Carl Maria von Webers Vater Franz Anton sowie dessen Geschwister Fridolin (II.) und Adelheid. Während der jüngere Franz Anton in Zell nur seine Kindheit verbrachte, bevor er zur Ausbildung nach Freiburg ging, kam der ältere Bruder Fridolin (II.) nach seinem Studium in Freiburg nach Zell zurück und wurde – wie zuvor sein Vater – 1754 als Amtmann angestellt. Seine Töchter, Carl Maria von Webers Cousinen, Josepha (später verh. Hofer, als Mitglied des Freihaustheaters auf der Wieden die Königin der Nacht der Zauberflöten-Uraufführung), Aloysia (später verh. Lange, Mozarts „Jugendliebe“, eine hochgeschätzte Sängerin, für die er mehrere Konzert- und Einlagearien komponierte) und Constanze wurden ebenso in Zell geboren. Letztere ist als Gattin und später Nachlassverwalterin von Mozart in die Musikgeschichte eingegangen. Mit ihr schmückt sich Zell heute ganz besonders: Durch die Stadt führt ein „Constanze-Mozart-Boulevard“, ein Stationen-Pfad, der das Leben und Wirken der wohl berühmtesten Tochter des Ortes lebendig werden lässt und zu den „Europäischen Mozart-Wegen“ gehört. Aber auch Carl Maria von Weber als bekanntester Sohn des aus Zell gebürtigen Franz Anton von Weber ist dort nicht vergessen, und so war, initiiert insbesondere von der Journalistin und Autorin Heidi Knoblich, eine überaus freundliche Einladung an den Vorstand der Weber-Gesellschaft ergangen, das Jahrestreffen in Zell zu veranstalten.
Eröffnet wurde die Zusammenkunft am 9. September mit einem Konzert, zu dem die Sängerin Andrea Chudak und die Gitarristin Lidiya Naumova ein reines Weber-Programm zusammengestellt hatten, das sich an der 2012 von den beiden Künstlerinnen aufgenommenen CD orientierte (Antes Edition BM319280; vgl. dazu Weberiana 23.2013, S. 155). Die stimmungsvollen Lied-Darbietungen verband die Sängerin durch charmante, lebendige kleine Kommentare. Das Publikum im ausverkauften Zeller Ratssaal zeigte sich von den noch immer recht wenig bekannten Vokalwerken begeistert und konnte den beiden Musikerinnen beim nachfolgenden Signieren der CDs auch persönlich nahekommen.
Der Ratssaal bot ebenso den Rahmen für die Mitgliederversammlung am folgenden Vormittag, das gegenüberliegende Rathaus bildete am Samstagnachmittag den Ausgangspunkt für einen Stadtbummel, begleitet vom Bürgermeister Peter Palme, der bereits das Konzert am Vorabend gemeinsam mit Frau Knoblich eröffnet hatte. Auch die Führung durch Zell hatte Heidi Knoblich übernommen, die nicht nur einen biographischen Roman über Constanze Mozart (erschienen bei Kaufmann in Lahr, 2006) verfasst und durch zahlreiche Aktivitäten die in Zell geborene Mozart-Gattin vor Ort wieder in lebendige Erinnerung gebracht hat (u. a. durch die Initiative zu besagtem Constanze gewidmeten Boulevard und dessen Gestaltung), sondern auch einen Beitrag über die beiden Zeller Amtmänner Fridolin Weber (I. und II.) vorgelegt hat (in: Das Markgräflerland. Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur, Bd. 1/2015, S. 94–109), in dem sie die Forschungsergebnisse u. a. von Friedrich Hefele (1884–1956) und Volkmar Schappacher (1931–2016) erneut ins Bewusstsein rief. Es gibt somit derzeit kaum einen besseren „Cicerone“, der auf den Spuren der Webers durch Zell führen könnte, als sie. Freilich hat der Ort heute ein gänzlich anderes Gesicht als noch zu Zeiten der Webers (also zwischen der Amtseinführung von Fridolin Weber I. 1721 und der Übersiedlung seines Sohnes Fridolin II. von Zell nach Mannheim im Dezember 1763). Der Stadtbrand am 23. Juli 1818, dem u. a. das Amtshaus zum Opfer fiel, hat das Bild ebenso einschneidend verändert wie die Industrialisierung des 19. und 20. Jahrhunderts. Auf dem Weg vom Rathaus, vorbei am ehemaligen Standort des Amtshauses, am Schwanenweiher, der Karl-Maria-von-Weber-Straße, dem Stadtpark mit dem Zauberflötenpavillon (umstanden von Constanze-Mozart-Rosen, einer Neuzüchtung, angeregt aus Zell) bis hin zum Weber-Brunnen nahe dem Flüsschen Wiese ließ Frau Knoblich das Wirken der beiden Amtmänner Weber in Zell, ihre schwierige und wechselhafte Beziehung zum Grundherrn, Franz Ignaz Ludwig Freiherr von Schönau aus der Linie Schönau-Zell, aber auch die Persönlichkeit der Constanze Mozart in anekdotischen Erzählungen, verbunden mit Zitaten aus den Quellen auf ebenso amüsante wie informative Art lebendig werden. Den Abschluss des Rundgangs bildete die von Frau Knoblich als „Welturaufführung“ angekündigte Darbietung des Freischütz-Jägerchors auf einer Drehorgel der Firma Jäger und Brommer aus Waldkirch; der Lochstreifen für diese Darbietung war speziell für das Treffen der Weber-Gesellschaft angefertigt worden und wird hoffentlich noch häufiger Verwendung finden. Der erwähnte Weber-Brunnen wird ehrenamtlich vom Ehepaar Helga und Karl Seger gepflegt, das ihn zu dem besonderen Anlass nicht nur mit einem zusätzlichen Blumenarrangement geschmückt hatte, sondern die Mitglieder der Gesellschaft auch zu einem Sektumtrunk einlud (die Stadt hatte dazu als kleines Gastgeschenk für die Anwesenden Gläser mit dem Stadtwappen beigesteuert). Über die wundervollen Erlebnisse des Tages und die herzerwärmende Gastfreundschaft konnten die Mitglieder sich sowohl in der gemeinsamen Mittagspause im Gasthaus Löwen als auch beim abendlichen geselligen Beisammensein in der Pizzeria Escopazzo austauschen und dabei ebenso die Vorzüge der bodenständig-qualitätvollen badischen wie auch der internationalen Küche genießen.
Der Sonntagvormittag war der jüngeren Geschichte von Zell gewidmet. Im Wiesentäler Textilmuseum konnten sich alle Interessierten bei einer fachkundigen Führung durch Wolfgang Döbelin über die Entwicklung der Textilindustrie von den Anfängen in Heimarbeit auf Handwebstühlen bis hin zur Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg informieren. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Zell-Schönau AG, die einst unter dem Markennamen irisette prosperierte, bis in den 1970er Jahren die Abwanderung der Textilindustrie aus Westeuropa der Erfolgsgeschichte ein Ende setzte. Die liebevoll zusammengestellten Ausstellungsstücke, Modelle sowie die informativen Schautafeln mit Fotodokumenten, der Blick auf die hier hergestellten Tuche, vor allem aber die eindrucksvollen Vorführungen des Maschinenparks durch ehemalige Mitarbeiter (darunter der 89jährige Franz Zimmermann) brachten den Weberianern die „Weberei“ einmal auf ganz andere Art nahe; ein großartiger Einblick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie immens der Strukturwandel für die Stadt und die Region seit Schließung fast aller Textilfirmen zwischen Anfang der 1970er Jahre und 1990 gewesen sein muss, macht schon ein Blick auf die Baulichkeiten deutlich: Die große Halle, in der heute das Textilmuseum untergebracht ist, war nur ein kleiner Teil jener Firma, die neben anderen, ebenso verschwundenen Textil- und Maschinenbaubetrieben einst das Leben in der Stadt bestimmte. Über die vielfältigen Eindrücke konnte man anschließend bei badischem Wein und deftigem Guglhupf mit Schinkenspeck noch ein wenig fachsimpeln, bevor jeder wieder die Heimreise antrat.
Ein herzliches Dankeschön geht an alle an der Vorbereitung und Durchführung dieses Treffens Beteiligten, wobei unsere Zeller Mitglieder Heidi Knoblich und Siegfried Kiefer ausdrücklich hervorgehoben sein sollen, die sich ganz besonders bemüht haben, ihren Heimatort auch bei wechselhaftem Herbstwetter ins beste Licht zu setzen. Vielleicht kehrt ja die eine oder der andere auch noch einmal für einen längeren Aufenthalt zurück, um die landschaftlichen Reize des Schwarzwaldes, speziell des Wiesentals, in Ruhe zu genießen, möglicherweise aber auch die Weber-Stätten in Stetten, Freiburg und Basel zu besuchen. Wer von unseren Mitgliedern beim Jahrestreffen nicht dabei sein konnte, dem sei die Reise in Deutschlands äußersten Südwesten nachdrücklich empfohlen!
Dagmar Beck und Frank Ziegler