„Es war für Gotha hübsch voll, und der Beyfall höllisch“
Das Mitgliedertreffen in Gotha vom 25. bis 27. September 2009
Nach dem reichhaltigen und vielfältigen Programmangebot beim Mitgliedertreffen in München 2008 war die Zusammenkunft der Weber-Gesellschaft in Gotha vom Umfang der Veranstaltungen her bewusst ,klein‘ gehalten worden. Es standen die geselligen und touristischen Anlässe der jährlichen Versammlung im Vordergrund, was auch durchaus der Ausstrahlung des gewählten Orts entsprach. Zwar war dieser den meisten sicherlich als Namensgeber des bis heute maßgeblichen Adelskalenders bekannt; doch rückte vielen erst bei näherer Begehung der Stadt ins Bewusstsein, dass sich mit Gotha – ein auf „gutes Wasser“ hindeutender Name – ebenfalls der Sitz des ersten deutschen privaten Versicherungsunternehmens (der „Gothaer“) verbindet und hier zudem der bedeutende Kartenverlag Julius Perthes residierte, der im 19. Jahrhundert das wissenschaftliche Bild der Erde prägte. Auch die Tatsache, dass der Gothaer Hof lange Zeit für das thüringische Territorium eine weitaus bedeutendere Funktion als das bekanntere Weimar einnahm, wurde manchem sicherlich erst im Angesicht der beeindruckenden Baugestalt des Schlosses Friedenstein, seinem Theater, den enzyklopädischen Sammlungen der Bibliothek sowie dem hier angelegten ältesten englischen Park auf dem europäischen Kontinent deutlich.
Wenn somit auch das fachwissenschaftliche Programm diesmal weniger umfangreich ausfiel als in München und auf musikalische Beiträge leider verzichtet werden musste, blieben die Teilnehmer doch nicht gänzlich ohne gehaltvolle und auf die Örtlichkeit des Treffens abgestimmte geistige Nahrung; die von der Weber-Gesamtausgabe stammenden Referenten konzentrierten ihre instruktiven Beiträge auf das Thema ,Weber und Gotha‘ und vermittelten den interessierten Teilnehmern Einblick in ein wesentliches Kapitel aus Webers Lebensgeschichte.
Eröffnet wurde das Jahrestreffen am Freitag Nachmittag mit einer Führung durch die historische Forschungsbibliothek Gotha, die sich in dem imposanten, die Stadt dominierenden Schloss Friedenstein befindet, das den kompletten Kosmos der fürstlichen Sammlungen (Bibliothek, Münzkabinett, Gemälde und Graphiken, Antiken, Waffen, Kunsthandwerk, außereuropäische Kunst, Naturalien u. a.) in einer anderenorts kaum noch derart geschlossen zu bewundernden Form darbietet. Die Bibliotheksleiterin Frau Dr. Kathrin Paasch öffnete nicht nur die sonst unzugänglichen, frisch restaurierten historischen Räume, darunter das wunderschöne Münzkabinett, den beeindruckenden barocken Schausaal im Bibliotheksturm und den Spiegelsaal, in dem Weber mehrfach konzertiert hatte, sondern präsentierte auch ausgewählte Schätze der Sammlungen wie Briefe, illustrierte Handschriften, besonders aber Zimelien aus den wichtigsten Bestandsbereichen (Reformationsschriften, orientalische Handschriften, Sammlung Perthes-Verlag). Das Konferenzzimmer der Bibliothek bot anschließend den angemessenen Rahmen, um von Dagmar Beck kompetent in die vielfältigen biographischen Bezüge zwischen Weber und Gotha eingeführt zu werden. Daran anknüpfend untersuchte Frank Ziegler detailliert die Beziehungen zwischen Weber und dem musikinteressierten Herzog August von Gotha und vermittelte zugleich einen umfassenden Einblick über Webers dortiges Komponieren. Eigens für diesen Anlass von Elisabeth Reichart produzierte Aufnahmen von unbekannten Gothaer Lied-Kompositionen von Weber, Herzog August von Gotha sowie Friedrich Heinrich Himmel boten zudem eine gelungene musikalische Einstimmung. Am Samstag Vormittag folgte die anschauliche Auseinandersetzung mit den Sehenswürdigkeiten des Ortes, der sich im herbstlichen Sonnenschein von seiner schönsten Seite präsentierte. Unter kundiger Führung wurde den interessierten Mitgliedern zuerst das historische und nach dem Schauspieler Conrad Ekhof benannte Theater des Schlosses gezeigt, das älteste noch funktionstüchtige Theater Deutschlands. Die sich anschließende Stadtführung vermittelte nicht nur Informationen über die historische Bausubstanz der Innenstadt, sondern instruierte auch näher über die Umstände am Ende des Zweiten Weltkriegs, die zum weitgehenden Erhalt des Stadtkerns führten, sowie über die baulichen Veränderungen in der Zeit der DDR und danach.
In dem etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegenen, aber dennoch der Mehrzahl der Mitglieder als Unterkunft dienenden Morada-Hotel wurden am Nachmittag die Vorträge fortgesetzt. Joachim Veit diskutierte im Zusammenhang mit Abu Hassan die komplexe Frage nach der Existenz nachträglicher, in Gotha oder für eine dortige Aufführung angefertigter Kompositionen, während Solveig Schreiter sich ausführlich mit einer für den Hof komponierten Konzertarie auseinandersetzte und die vielfältigen Verbindungslinien zwischen Kompositionsanlass, Gattungsproblematik und Entstehungsgeschichte nachzeichnete. Danach schloss sich die Mitgliederversammlung an, die in der Folge von einem gemütlichen Beisammensein im Ratskeller gekrönt wurde.
Die Exkursion nach Gräfentonna am Sonntag Vormittag wurde unvorhergesehen zu einem veritablen weiteren Höhepunkt des Mitgliedertreffens. Das alte, im 12. Jahrhundert gebaute gräfliche Schloss zu Tonna (auch Kettenburg genannt), in der sich Weber im September 1814 als Gast des Herzogs August von Sachsen-Gotha-Altenburg aufhielt und einige der Lieder aus Theodor Körners Leyer und Schwert vertonte, besaß zwar – abgesehen von einem Renaissance-Erker – nur noch wenig von der historischen Patina, hatte doch das spätere 19. Jahrhundert das Bauwerk durch Zweckentfremdung jeder Reminiszenz an die Weber-Zeit beraubt (seit 1859 diente das Gebäude als Strafvollzugsanstalt). Der im Gegenzug gebotene authentische Einblick in ein Gefängnis der DDR wog das fehlende Weber-Flair, das sich in einer unscheinbaren kleinen Kammer konzentrierte, allerdings bei weitem auf. Hinzu kam, dass die aus organisatorischen Gründen eingesprungene Führerin durch die beklemmende Liegenschaft spontan das Augenmerk der Mitglieder auf die räumlich benachbarte Kirche St. Peter und Paul lenkte, in welcher der mit 8,50 Meter Höhe größte Holzschnitzaltar Mitteldeutschlands mit seiner ganz eigenen Geschichte (gotische Tafeln in barocker Fassung, ursprünglich für die Gothaer Schlosskirche) auf die interessierten Teilnehmer wartete.
So bewahrheitete sich Webers eingangs zitierter Tagebucheintrag vom 25. Januar 1812 aufs Schönste, denn nicht nur zahlreiche Mitglieder nahmen die Gelegenheit wahr, sich an einem historisch so vielschichtigen Ort wie Gotha mitsamt Umgebung zu treffen und das „hübsch volle“ Programm zu genießen, das der Vorstand erarbeitet hatte; auch der Zuspruch für dieses kleine, aber feine Jahrestreffen war durchaus – um erneut mit Weber zu sprechen – „höllisch“.
Markus Bandur