„Wien behauptet doch den bedeutendsten Rang unter denen Musikliebenden und treibenden Städten“
Bericht vom Mitgliedertreffen 2023
2023 traf sich die Internationale Carl-Maria-von-Webergesellschaft e. V. aus Anlass der 200. Wiederkehr der Uraufführung von Carl Maria von Webers Oper Euryanthe am 25. Oktober 1823 in Wien. Die Planung vor Ort hatte Dr. Till Gerrit Waidelich vorgenommen. Bei der konkreten Ausführung wurde er dann kurzfristig von Dr. Martina Bergler unterstützt. Das Treffen fand vom 13. bis 15. Oktober statt und startete am Freitagnachmittag um 16 Uhr mit einer Stadtführung.
Der Stadtführer Mario Lulić war auf die aus der Gesellschaft heraus geäußerten Wünsche eingegangen und hatte die Tour, ausgehend vom Albertinaplatz – etwa am Standort des ehemaligen Kärntnertortheaters, in dem die Euryanthe ihre Uraufführung erlebte, zudem unweit der Wohnung der Familie von Weber im Jahr 1788 sowie der Quartiere Webers bei den Wien-Besuchen 1813 und 1823 – auf das Areal rund um die Hofburg (in der Weber sowohl 1804 als auch 1823 Audienzen beim Kaiser hatte und in deren Redoutensälen er konzertierte) bis hin zur Schottenkirche (der Hochzeitskirche von Webers Eltern) und der Mölkerbastei (unweit der ersten verbürgten Wohnung der Eltern Webers 1785) eingegrenzt, so dass auf einer relativ begrenzten Strecke etliche Weber-Stätten thematisiert werden konnten. Die kundigen und durch viel zusätzliches Bildmaterial bereicherten Erläuterungen von Mario Lulić ergänzte Frank Ziegler hin und wieder durch Informationen zu Weber-Bezügen, beispielsweise an der lutherischen Stadtkirche, deren Orgel Webers Lehrer Georg Joseph Vogler besonders schätzte und wo er mehrfach Konzerte gab (auch 1813 in Anwesenheit Webers), oder am Palais Niederösterreich, dem ehemaligen Haus der niederösterreichischen Landstände, dessen wundervoller Saal zur Weber-Zeit eine beliebte Konzertstätte war, in der auch Weber sich hören ließ.
Der Abend des Freitags stand zur freien Verfügung, um individuelle Opern- oder Konzertbesuche zu ermöglichen. Das kulturelle Angebot hatte Martina Bergler dankenswerterweise vorab genauestens aufgelistet.
Am Sonnabend, dem 14. Oktober, traf sich die Gesellschaft in den Räumen der Österreichischen Gesellschaft für Musik (ÖMG) unweit des Albertinaplatzes. Die ÖMG hatte in ihrem Veranstaltungskalender auf die Tagung hingewiesen, so dass die Vorträge erfreulicherweise auch von externen Interessierten besucht wurden.
Die Mitglieder fanden in Wien erstmals kleine Konferenztaschen vor, die Martina Bergler sehr passend mit (österreichischen) Süßigkeiten befüllt hatte, um den Teilnehmern das ‚Durchhalten‘ bei den Vorträgen zu erleichtern – dabei war dies gar nicht notwendig, denn es gab in den Pausen ausreichend kalte und warme Getränke sowie Kekse. Darüber hinaus hatte sie einen Konferenz-Block mit dem Logo der Gesellschaft (+ Stift) für die Notizen zu den Vorträgen beigelegt.
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Präsidentin der ÖGM, Frau Dr. Carmen Ottner, bedankte sich der Vorsitzende der Weber-Gesellschaft, Prof. Dr. Manuel Gervink, bei dieser für die äußerst freundliche und unkomplizierte Zusammenarbeit.
Im Folgenden werden die einzelnen Referate des Euryanthe-Symposiums nicht detailliert besprochen, da sie in schriftlicher Form in den Weberiana Heft 34 nachzulesen sein werden.
Frank Ziegler begann die Vortragsreihe mit dem Thema „Erste ‚unter denen Musikliebenden und treibenden Städten‘ oder gefürchtetes ‚Wespennest‘? Webers Verhältnis zur Haupt- und Residenzstadt Wien“ und behandelte dabei vor allem Webers familiäre Beziehungen zu Wien sowie seine frühen Aufenthalte in der Stadt 1804 und 1813. Mit den Erfahrungen um die sehr erfolgreiche Aufführungsserie des Freischütz ab dem 3. November 1821 fuhr Weber zurück nach Dresden, um anschließend die Euryanthe direkt für Wien zu schreiben.
Im zweiten Vortrag öffnete Helge Kreisköther M.A. dann den Blick auf die opernästhetischen Diskussionen außerhalb Wiens: „Webers opernästhetische Anknüpfungen an Wieland, E. T. A. Hoffmann und Louis Spohr: Definitionen der deutschen ‚National‘- und Rezitativoper“. Er diskutierte einerseits den Begriff der „National“-Oper bzw. des „Nationalen“ im Theater der Zeit und stellte dann einige theoretische und praktische Beispiele zur Frage der Rezitativoper vor.
Prof. Dr. Frank Heidlberger wandte anschließend den Blick nach Paris: „‘Euriante‘ oder ‚Ennuyante‘? Zur Aufführung der Euryanthe in Paris um 1830“. Er betonte, dass in Paris die Euryanthe in direkter Konkurrenz zu Meyerbeers Robert le diable gespielt wurde. Außerdem erläuterte er zahlreiche Aneignungen der Musik aus Euryanthe in fremden Werken, so 1826 in La Forêt de Sénart (einem Pasticcio). 1831 erklang in der Académie Royale eine Euriante, bei der das Libretto wieder der französischen Vorlage angenähert wurde, die Musik stark umgestellt war und vier Nummern aus Oberon eingelegt waren. Große Beachtung fand 1831 in Paris die Aufführung der Euryanthe in deutscher Sprache durch das Aachener Theaterensemble unter August Röckel.
Den letzten Vortrag des Vormittags hielt Dr. Till Gerrit Waidelich „Zu Helmina von Chézy“: Er sprach auf Grund seiner zwanzigjährigen Beschäftigung (1994–2014) mit der Librettistin frei und führte das private und berufliche Leben und Wirken der Schriftstellerin höchst kenntnisreich und sehr anschaulich vor Augen.
Den Nachmittag eröffnete Dr. Michael Wittmann mit dem Thema „Domenico Barbajas kulturpolitische Rolle im Kontext der Metternich’schen Restaurationspolitik und Carl Maria von Webers Euryanthe“. Er gab spannende Einblicke in die politische und künstlerische Stellung des Theaterintendanten Barbaja in Wien, der Weber den Auftrag zur Euryanthe gegeben hatte und ließ eindringlich die Besonderheit der italienischen Sänger und Sängerinnen und der eigenen Komponisten, allen voran Gioacchino Rossini, deutlich werden.
Anschließend gab Gregor Schima BA BA M.A. einen sehr fundierten Einblick in die „Euryanthe-Inszenierungen in Wien und Dresden“. Aus theaterwissenschaftlicher Perspektive erläuterte er die Regiekonzepte von Vera Nemirova bei der Aufführung an der Semperoper in Dresden 2006 und von Christof Loy bei der Aufführung am Theater an der Wien 2018.
Den Abschluss bildete ein „Werkstattbericht aus der Gesamtausgabe zu Euryanthe“ durch Dr. Solveig Schreiter und Prof. Dr. Joachim Veit, wobei Joachim Veit das Verlesen des Parts der erkrankten Solveig Schreiter mit übernahm. Dargestellt wurde die komplexe Quellenlage sowohl bezüglich des Librettos (sehr viele Zwischenstufen bis zum endgültigen Text) als auch der Partitur (sieben erhaltene autorisierte Abschriften), so dass auch dem Laien verständlich wurde, dass diese Edition nicht nur auf Grund des Umfangs der Partitur sehr herausfordernd ist.
Nach dieser sehr geballten Informationsflut rund um die Euryanthe erholten sich die Mitglieder nur kurz bei einer Kaffeepause, denn es schloss sich sogleich die Mitgliederversammlung an.
Der lange, aber sehr anregende Tag wurde dann mit einer Rezitation zu Helmina von Chézy mit dem Titel „Eine sehr angenehme Plage. Die Dichterin Helmina von Chézy“ beschlossen. Den biographischen Überblick mit zahlreichen Zitaten, der auf der neuesten Literatur basierte, hatte die Schauspielerin, Autorin und Sprecherin Steffi Böttger zusammengestellt. Sie wusste mit ihrer professionellen Stimme das Publikum sehr schnell in Bann zu ziehen. Unterbrochen wurde die Lesung durch acht Klavierstücke zu zwei oder vier Händen von Carl Maria von Weber und Franz Schubert, die Konstanze Hollitzer und Christian Hornef vortrugen.
Der rundum erfreuliche Tag klang mit einem geselligen Beisammensein in dem Stadtheurigen Gigerl aus.
Für den Sonntag war ganz ‚harmlos‘ ein Besuch des Theatermuseums angekündigt, doch geboten wurde den Mitgliedern der Gesellschaft eine zweistündige Spezialführung in der Bibliothek des Museums mit der Besichtigung zahlreicher Preziosen aus deren Beständen. Die Führung bzw. Präsentation – denn die Besucher konnten im Lesesaal Platz nehmen – erfolgte durch die Leiterin der Bibliothek, Mag.a Claudia Mayerhofer MSc. Sie erläuterte zu Beginn die Gliederung und Entwicklung der Theatersammlung, die eigentlich einen Schwerpunkt im Sprechtheater hat. Da aber im frühen 19. Jahrhundert die Theater noch nicht so deutlich zwischen Sprech- und Musiktheater getrennt waren, gibt es gerade aus dieser Zeit in der Theatersammlung auch zahlreiche Materialien zum Musiktheater. Nach dieser Einführung zeigte Frau Mayerhofer einige der Schätze der Bibliothek, bei deren Auswahl sie offensichtlich von Dr. Till Gerrit Waidelich unterstützt worden war. Er und Frank Ziegler ergänzten mit ihrer tiefen Kenntnis der Bestände der Bibliothek und der gezeigten Gegenstände die Ausführungen der Bibliotheksleiterin. Passend zum Thema des gesamten Treffens der Gesellschaft in Wien begann die Schau der Preziosen mit dem Theaterzettel zur Uraufführung von Euryanthe, es folgte Bäuerles Theaterzeitung, in der eine Biographie von Helmina von Chézy, Rezensionen und Huldigungsgedichte abgedruckt waren. Aus dem alten Bestand des Burgtheaters sahen wir das Zensurexemplar von Helmina von Chézys Wunderquell, eine dramatische Kleinigkeit, die am 15. Januar 1824 in Wien Premiere hatte. Es folgten mehrere Quellen zum Freischütz in Wien, darunter auch das Manuskript einer Parodie von Josef Alois Gleich und Franz Roser: Staberl als Freischütz.
Frau Mayerhofer verwies dann noch auf die Inspizienzbücher des Burgtheaters, die bereits erschlossen, aber leider noch nicht online einsehbar sind. Diese ergänzen die große Sammlung an Zensurexemplaren und enthalten häufig wichtige Daten zu den Aufführungen der Stücke.
Zum Abschluss der Führung erhielten wir einen wichtigen Einblick in die graphische Sammlung der Bibliothek. Wir sahen mehrere Szenenbilder zum Freischütz und betrachteten die sog. Brioschi-Alben. Carlo Brioschi (1826–1895) war einer der bedeutendsten Wiener Theatermaler und in den Alben sind zahlreiche seiner Entwürfe thematisch geordnet: Es finden sich Zimmer, Säle, Gärten etc. Ergänzt werden diese Bilder durch Figurinen von Girolamo Franceschini (1820–1859). Wir bewunderten eine Auswahl dieser eindrucksvollen Bilder, mussten dann aber diese interessanten Bestände verlassen, da uns noch eine Überraschung erwartete. (Zum Glück kann man zahlreiche dieser Bestände in der online-Präsentation des Museums noch einmal selbst recherchieren: https://www.theatermuseum.at/online-sammlung.)
Das Theatermuseum Wien ist im Palais Lobkowitz untergebracht, in dessen Festsaal am 9. Juni 1804 Beethovens 3. Sinfonie uraufgeführt wurde, weshalb der Saal heute „Eroica-Saal“ genannt wird. Das Palais ist insgesamt hervorragend restauriert, doch dieser Saal mit seinem prachtvollen Deckenfresco von Jakob van Schuppen (Allegorie auf die Sparten der Akademie der bildenden Künste) ist ein Juwel. Und in diesem Saal mit seiner besonderen Akustik, die Prof. Dr. Heinz von Loesch noch spontan erläuterte, hörten wir zum Abschluss des Treffens von Friedrich Kuhlau die höchst virtuose Introduktion und Variationen für Flöte und Klavier über ein Thema aus Carl Maria von Webers ‚Euryanthe‘ op. 63, mitreißend gespielt von Kathrin Waldner, Flöte und Atsuko Ribel, Klavier. Welch ein Abschluss dieses insgesamt so gelungenen Treffens bei schönstem Sonnenschein in Wien!
Irmlind Capelle