„Das wichtigste im Leben … ist das Theater“
Das Mitgliedertreffen in Prag vom 18. bis 21. April 2013
Das diesjährige Treffen führte die Mitglieder der Gesellschaft erstmalig in die prächtige Moldau-Metropole, die einen wichtigen Meilenstein in Webers Biographie markiert. Von 1813 bis 1816 wirkte er hier als Kapellmeister des Ständetheaters. In dieser im Nachhinein als „Joch-Jahre“ bezeichneten Periode seines Lebens widmete sich Weber vor allem der Repertoire-Gestaltung und dem Ensembleaufbau des Theaters sowie der Publikumserziehung, wovon seine in der K. K. priveligirten Prager Zeitung veröffentlichten „Dramatisch-musikalischen Notizen“ beredtes Zeugnis ablegen.
Das 200. Jahrestag seines Amtsantritts war für die Gesellschaft Anlass, Webers einstige Wirkungsstätte zu besuchen, und konnte überaus glücklich mit einem weiteren Jubiläum verbunden werden, dem 230-jährigen Bestehen des Ständetheaters. Dieses 1781 bis 1783 von Anton Haffenecker für Franz Anton Graf von Nostitz-Rieneck erbaute und mit Lessings Emilia Galotti eröffnete Theater erhielt durch den Verkauf an die sogenannten Böhmischen Stände, das Parlament der Landbesitzer, 1798 seinen später gebräuchlichen Namen Královské Stavovské Divadlo (‚Königliches Ständetheater‘).
Dank intensiver und unkomplizierter Vorbereitung seitens der Gastgeber gestaltete sich das Treffen, wie auch in den vergangenen Jahren, wieder als eine gelungene, abwechslungsreiche Mischung aus Theorie und Praxis bzw. Bildung und Unterhaltung. Das Theaterwissenschaftliche Institut initiierte eine zweitägige internationale wissenschaftliche Tagung zum Thema: „230 Jahre Ständetheater in Prag. Das schöpferische Potential der Bühne im europäischen Kontext“, die, von der Gesellschaft unterstützt, in dem in der Altstadt gelegenen Theater in der Celetná durchgeführt wurde. Der Großteil der Vorträge der aus Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien stammenden Referenten und Referentinnen (die von zwei Dolmetscherinnen simultan übersetzt wurden) widmete sich der Aufarbeitung der Geschichte des Theaters bzw. ausgewählten vor Ort tätigen Künstlern und Künstlerinnen, wurde jedoch sinntragend von auswärtigen, ähnliche Problematiken berührenden sowie Weber-spezifischen Beiträgen ergänzt.
Die im Anschluss an jede Sektion durchgeführten und von renommierten Forschern geleiteten regen und teils auch kontroversen Diskussionen machten das breite Interesse an der Thematik der Tagung deutlich, zeigten aber auch, dass insgesamt ein großer Bedarf an wissenschaftlichem Austausch besteht und Barrieren in der Zusammenarbeit der einzelnen Institutionen (nicht nur über die Grenzen hinweg, sondern auch innerhalb einer Nation) bisher noch nicht restlos beseitigt werden konnten. Gerührt zeigten sich die Teilnehmer der Tagung von der überwältigenden Gastfreundschaft: für leibliches Wohl wurde mittels üppigem Kuchen- und Sandwich-Buffet ausreichend gesorgt; vgl. den ausführlicheren Tagungsbericht in der Zeitschrift Die Tonkunst (Jg. 7, 913, Nr. 3, S. 389-390).
Ebenso aufschlussreich und in schöner Erinnerung bleibend waren die tagungsexternen Veranstaltungen:
Am Freitagabend fand in einer der fünf Abteilungen des Nationalmuseums, dem Tschechischen Museum für Musik, ein Festabend der ganz besonderen Art statt. Im stimmungsvollen Ambiente der ehemaligen, zum Museum ausgebauten Barockkirche der Heiligen Maria Magdalena auf der Prager Kleinseite erwartete die Mitglieder und Teilnehmer der Tagung eine „Büchertaufe“, ergänzt durch zwei musikalische Darbietungen ausgezeichneter Qualität. Unter Anwesenheit von prominenten Gästen aus Politik und Kultur (u. a. dem Botschafter von Österreich in Tschechien und dem Direktor des Nationalmuseums) wurden drei aktuelle Buchpublikationen des „Kabinetts für die Erforschung des tschechischen Theaters“ vorgestellt (dt. Titel der beiden tschechischen Publikationen: Prager Theateralmanach – 230 Jahre Ständetheater sowie Bis zum bitteren Ende. Deutsches Theater in Prag 1845–1945; außerdem: Theater in Böhmen, Mähren und Schlesien. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Ein Lexikon = erweiterte dt. Ausgabe des tschechischen Lexikons von 2007).
Das letzte der präsentierten Bücher war erst wenige Stunden zuvor, gerade noch rechtzeitig zur Veranstaltung, sozusagen frisch aus der Druckerpresse in Ungarn, nach Prag gelangt.
Trotz nicht unproblematischer Akustik beeindruckten die Interpreten der musikalischen Beiträge, allesamt Studierende an der Musik- und Tanzfakultät der Akademie der darstellenden Künste in Prag, die gesamte Zuhörerschaft. Hana Tauchmanová brillierte zu Beginn mit Webers Concertino op. 26 (hier im Arrangement mit Klavier, begleitet von der Dozentin Irena Černá, die am meisten mit der Halligkeit des Kirchenraums zu kämpfen hatte) und verführte durch ihren klangschönen Klarinettenton. Josef Kamencay (Klarinette) und die Streicher Matouš Pěruška, Jan Zrostlík, Adam Pechočiak und Kritina Vocetková beschlossen das Festprogramm temperamentvoll mit Webers Klarinettenquintett op. 34 in einer spritzigen, durch rasche Tempi glänzenden Interpretation, deren „Beseeltheit“ des II. Satzes (Fantasia) und Komik des musikalischen Dialoges im Menuetto, umrahmt von den beiden markanten Ecksätzen, gleichermaßen überzeugte.
Im Anschluss an die Veranstaltung bestand die Möglichkeit, die Musikinstrumentensammlung des im November 2004 wieder eröffneten Museums zu besuchen, auf dessen 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche Instrumente und wertvolle Musikdokumente aus mehr als fünf Jahrhunderten ansprechend präsentiert werden.
Höhepunkt des Prager Wochenendes war ohne Zweifel der Besuch von Wolfgang Amadeus Mozarts Così fan tutte am Samstagabend im Ständetheater. In der historischen Spielstätte, welche heute überwiegend für Ballett- und Schauspielaufführungen des Prager Nationaltheaters (Národní divadlo), dem sie 1920 angegliedert wurde, genutzt wird, stehen im Gedenken an die hier einst stattfindenden Ur- und Erstaufführungen regelmäßig Opern Mozarts auf dem Spielplan.
Die spezielle, etwas trockene Akustik des sehr hohen Theaterraumes (5 Ränge) wurde von den Protagonisten und dem Orchester des Nationaltheaters solide gemeistert. Dirigent Jan Chalupecký leitete das Ensemble behände durch alle Klippen der Partitur und wartete mit einer überzeugenden, temporeichen Interpretation auf, souverän den dem Stück innewohnenden Qualitäten vertrauend. Auch die Ausstattung der Inszenierung (Regie: Martin Čičvák) konzentrierte sich auf die Inhalte des Werkes und erregte weniger durch große Effekte, mehr durch kleine, feine Nuancen Aufmerksamkeit. Die eher schlichte Bühnenausstattung von Tom Ciller (eine leicht nach vorn geneigte Scheibe, durch deren Mitte sich während des Stückes mehrfach ein Pavillon mit knallrotem Samtvorhang erhob) bildete vorrangig den Aktionsraum der Sänger und Sängerinnen, die sich sicher darauf bewegten, innerhalb ihrer vorgegebenen Handlungen aber auch Ruhe für die anspruchsvollen Arien bewahrten. Marija Havrans Kostümierung kam dezent, aber farbenfroh und einfallsreich daher und schuf wunderschöne, dem Geschehen auf der Bühne adäquate Assoziationen beim Zuschauer.
Die Sängerleistungen von Marie Fajtová als Fiordiligi, Michaela Kapustová als Dorabella, Martin Šrejma als Ferrando, Adam Plachetka als Guglielmo, Kateřina Kněžíková als Despina und Martin Gurbaľ als Don Alfonso waren stimmlich und schauspielerisch allesamt sehr gut bis herausragend (bis auf den leider an diesem Abend indisponierten Ferrando, der manchmal in der Höhe etwas angestrengt klang, und Don Alfonso, der der Autorin für die Rolle zu jung erschien und zu wenig den Eindruck eines „Spiritus rector“ vermittelte).
Beherzt nach der Devise „Morgenstund’ hat Gold im Mund“ wurde die Mitgliederversammlung der Gesellschaft am Sonntagmorgen in den Gebäuden des Theaterwissenschaftlichen Instituts abgehalten. Den Abschluss des Mitgliedertreffens bildete dann eine Führung durch das Ständetheater, geleitet von einer jungen charmanten Prager Gesangs- und Englischlehrerin, die den Mitgliedern selbstbewusst einen informativen Einblick in die Räumlichkeiten des zauberhaften Theaters gewährte. Der Zuschauerraum, ehemals für 1000 Besucher ausgelegt, fasst seit der umfangreichen Sanierung des Hauses in den Jahren 1982 bis 1990 zwar nur noch 664 Sitzplätze, behielt aber sein historisches Aussehen, einzig die ursprüngliche rote Farbgebung wurde zugunsten einer dezenteren, aber sehr stimmungsvollen blau-grauen Tönung aufgegeben. Im sogenannten Mozart-Saal waren ein Modell des Theaters sowie die Büsten von Mozart und des tschechischen Dramatikers Josef Kajetán Tyl, nach dem das Haus von 1948 bis 1990 Tylovo divadlo benannt wurde, zu besichtigen. Aus Tyls Theaterstück Fidlovačka (Das Schusterfest) stammt das Lied Kde domov můj (Wo ist meine Heimat?, Melodie von František Škroup), die heutige tschechische Nationalhymne, die die Führerin zum Erstaunen aller Teilnehmer (zweifellos ein Höhepunkt der fakten- und anekdotenreichen Besichtigung) eindrucksvoll intonierte. Weitere Stationen der Führung bildeten die relativ kleine Unterbühne, der bei der Renovierung neu angelegte Garderoben-Trakt und die Bühne selbst, auf der bereits emsige Vorbereitungen für die nächste Vorstellung liefen. Ein unterirdischer Gang verbindet das Theater-Gebäude mit dem nahe gelegenen Kolowrat-Palais, in dessen mittelalterlichen Gewölben sich die Theaterkantine befindet und das dem Theater bislang als Verwaltungsgebäude dient.
Um das veranstaltete Treffen der Weber-Gesellschaft zusammenfassend und abschließend auf einen Nenner zu bringen, scheinen die Worte des Botschafters von Österreich aus seiner Ansprache zum Festabend durchaus angemessen: „Das wichtigste im Leben ist der menschliche Kontakt, das zweitwichtigste ist das Buch, das drittwichtigste ist das Theater.“ (Über die vorgenommene Rangfolge ließe sich vielleicht noch streiten…?!)
Solveig Schreiter